Versteckte Mängel clever aufdecken: Tipps vom Kfz-Sachverständigen für Autokäufer
Der Kauf eines Gebrauchtwagens ist oft ein aufregender Schritt – die Vorfreude auf das neue Fahrzeug ist groß. Doch leider kann sich der Traum vom Schnäppchen schnell in einen Albtraum verwandeln, wenn sich nach dem Kauf teure, versteckte Mängel offenbaren. Als Kfz-Sachverständige erleben wir täglich, wie Käufer mit den finanziellen und emotionalen Folgen solcher Entdeckungen konfrontiert werden. Viele dieser Probleme hätten durch eine sorgfältige Prüfung vor dem Kauf vermieden werden können. Dieser Ratgeber soll Ihnen helfen, typische Fallstricke zu erkennen und versteckte Mängel clever aufzudecken, bevor Sie Ihre Unterschrift unter den Kaufvertrag setzen.
1. Der erste Eindruck und die Papiere – Mehr als nur Optik
Bevor Sie sich dem Fahrzeug technisch widmen, geben der Gesamteindruck und die Fahrzeughistorie wichtige erste Hinweise:
Fahrzeughistorie prüfen: Lassen Sie sich alle verfügbaren Dokumente zeigen. Dazu gehören das Scheckheft (Serviceheft), aktuelle und alte HU-Berichte (Hauptuntersuchung), Reparaturrechnungen und gegebenenfalls eine EG-Übereinstimmungsbescheinigung (Certificate of Conformity, CoC). Achten Sie auf Plausibilität: Passen die Kilometerstände zu den Serviceintervallen und den HU-Berichten? Sind Reparaturen dokumentiert, die auf größere Vorschäden hindeuten könnten?
Anzahl der Vorbesitzer: Eine hohe Anzahl an Vorbesitzern in kurzer Zeit kann ein Warnsignal sein, muss es aber nicht. Fragen Sie nach den Gründen.
Allgemeinzustand: Passt der äußere und innere Zustand des Fahrzeugs zur angegebenen Laufleistung und zum Alter? Übermäßige Abnutzung oder auffallend neue Teile (z.B. nur ein neuer Scheinwerfer) können Hinweise auf eine bewegte Vergangenheit sein.
2. Karosserie und Lack – Dem Unfall auf der Spur
Unfallschäden gehören zu den häufigsten und teuersten versteckten Mängeln. Achten Sie auf:
Spaltmaße: Überprüfen Sie die Spaltmaße an Türen, Motorhaube und Kofferraumdeckel. Ungleichmäßige Spaltmaße sind oft ein Indiz für schlecht reparierte Unfallschäden.
Lackunterschiede: Betrachten Sie den Lack bei gutem Tageslicht aus verschiedenen Winkeln. Gibt es Farbunterschiede zwischen einzelnen Karosserieteilen? Sehen Sie Lacknasen, Staubeinschlüsse oder Orangenhaut? Dies können Anzeichen für Nachlackierungen sein. Ein Lackschichtdickenmessgerät (oft schon günstig erhältlich) kann hier Klarheit bringen, indem es die Dicke der Lackschicht misst und so gespachtelte oder nachlackierte Stellen offenbart.
Rostsuche: Untersuchen Sie typische Rostnester wie Radläufe, Schweller, Türkanten (besonders unten), den Kofferraumboden (unter der Matte) und den Unterboden. Auch ein Blick unter die Dichtungen von Türen und Heckklappe kann aufschlussreich sein.
Dichtungen und Scheiben: Sind alle Dichtungen intakt und nicht porös? Achten Sie auf das Herstellungsdatum der Scheiben (oft als kleiner Code eingeprägt). Stark voneinander abweichende Daten können auf einen Scheibentausch nach einem Unfall hindeuten.
3. Motorraum – Das Herzstück genau unter die Lupe nehmen
Ein Blick unter die Motorhaube kann viel über den Pflegezustand und mögliche Probleme verraten:
Kaltstart: Bitten Sie darum, den Motor im kalten Zustand zu starten. Achten Sie auf ungewöhnliche Geräusche (Klappern, Rasseln), die Farbe des Abgases (blauer Rauch = Ölverbrennung, weißer Rauch bei warmem Motor = Kühlwasser im Brennraum) und ob der Motor rund läuft.
Flüssigkeitsstände und -beschaffenheit:
Motoröl: Prüfen Sie den Ölstand. Ist das Öl pechschwarz oder sehr dünnflüssig? Ein Blick auf den Öleinfülldeckel und den Ölmessstab kann Hinweise geben: Heller Schaum oder Schleim deutet auf Wasser im Öl hin – ein mögliches Anzeichen für eine defekte Zylinderkopfdichtung.
Kühlwasser: Ist genügend Kühlflüssigkeit im Ausgleichsbehälter? Hat sie die richtige Farbe (meist rot, blau oder grün) und ist sie frei von Ölspuren? Öl im Kühlwasser ist ebenfalls ein Warnsignal für Probleme mit der Zylinderkopfdichtung oder dem Ölkühler.
Schläuche und Riemen: Sind Schläuche porös, rissig oder aufgequollen? Ist der Keilriemen (oder Keilrippenriemen) spröde oder ausgefranst?
Batterie: Wie alt ist die Batterie (oft auf einem Pol oder Aufkleber vermerkt)? Gibt es Korrosion an den Polen?
Sichtbare Undichtigkeiten: Suchen Sie nach Öl- oder anderen Flüssigkeitsaustritten am Motorblock, Getriebe und an den Achsen. Eine frische Motorwäsche kann solche Spuren verdecken, daher ist besondere Aufmerksamkeit geboten.
4. Innenraum – Spurensuche im Detail
Der Innenraum kann ebenfalls Hinweise auf versteckte Mängel oder eine nicht plausible Laufleistung geben:
Abnutzung: Vergleichen Sie den Zustand von Lenkrad, Pedalgummis, Schaltsack und Sitzen mit dem angegebenen Kilometerstand. Starke Abnutzung bei geringer Laufleistung sollte skeptisch machen.
Gerüche: Achten Sie auf unangenehme Gerüche wie Moder (kann auf Wassereintritt hindeuten), starken Rauchgeruch oder Tiergeruch.
Feuchtigkeit: Heben Sie die Fußmatten und die Kofferraumverkleidung an. Fühlt es sich feucht an oder sind Wasserflecken sichtbar? Dies kann auf undichte Stellen oder sogar einen Wasserschaden hindeuten.
Funktionstest aller elektrischen Helfer: Überprüfen Sie systematisch die Funktion von Fensterhebern, Schiebedach, Klimaanlage (kühlt sie wirklich?), Heizung, Radio, Navigationssystem, Beleuchtung (innen und außen), Scheibenwischern etc.
Kontrollleuchten: Leuchten beim Einschalten der Zündung alle Kontrollleuchten kurz auf und erlöschen dann? Bleibt eine Leuchte (z.B. Motorkontrollleuchte, ABS, Airbag) während der Fahrt an, deutet dies auf einen Fehler im jeweiligen System hin, was im Sinne des § 434 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einen Sachmangel darstellen kann.
5. Fahrwerk, Lenkung und Bremsen – Sicherheit geht vor
Diese Komponenten sind sicherheitsrelevant und sollten besonders gründlich geprüft werden:
Reifen: Prüfen Sie die Profiltiefe (gesetzliche Mindestprofiltiefe 1,6 mm, § 36 StVZO; empfohlen sind mind. 3 mm bei Sommer- und 4 mm bei Winterreifen), das Alter der Reifen (DOT-Nummer auf der Reifenflanke) und achten Sie auf einseitigen oder ungleichmäßigen Verschleiß, was auf Probleme mit der Achsgeometrie oder dem Fahrwerk hindeuten kann.
Lenkung: Hat die Lenkung im Stand spürbares Spiel? Gibt es ungewöhnliche Geräusche beim Lenken im Stand oder bei Volleinschlag während langsamer Fahrt?
Stoßdämpfer: Drücken Sie jede Ecke des Fahrzeugs kräftig nach unten. Schwingt das Fahrzeug stark nach, sind die Stoßdämpfer wahrscheinlich verschlissen. Achten Sie auch auf ölaustritt an den Dämpfern.
Bremsen: Machen Sie eine Sichtprüfung der Bremsscheiben (Riefen, Rostrand, Mindestdicke) und Beläge (Restbelagstärke). Prüfen Sie den Stand und das Alter der Bremsflüssigkeit (sollte alle zwei Jahre gewechselt werden). Achten Sie bei der Probefahrt auf Geräusche, Vibrationen oder einseitiges Ziehen beim Bremsen.
6. Die Probefahrt – Der ultimative Praxistest
Eine ausgiebige Probefahrt ist unerlässlich. Versuchen Sie, verschiedene Fahrsituationen (Stadtverkehr, Landstraße, ggf. Autobahn) abzudecken:
Kaltstartverhalten: (Siehe Punkt 3)
Motorleistung und -geräusche: Beschleunigt der Motor sauber und ohne Ruckeln durch alle Drehzahlbereiche? Gibt es ungewöhnliche Geräusche unter Last?
Schaltverhalten: Lassen sich bei einem manuellen Getriebe alle Gänge leicht und geräuschlos einlegen? Schaltet eine Automatik sanft und ohne spürbare Verzögerungen oder Ruckeln?
Bremsverhalten: Testen Sie die Bremsen (siehe Punkt 5).
Spurtreue und Kurvenverhalten: Fährt das Fahrzeug geradeaus, wenn Sie das Lenkrad kurz loslassen (auf ebener Strecke)? Wie verhält es sich in Kurven?
Ungewöhnliche Geräusche: Achten Sie auf Poltern, Klappern oder Quietschen vom Fahrwerk, besonders auf unebener Fahrbahn.
Funktionstest während der Fahrt: Überprüfen Sie erneut die Funktion von Anzeigen, Tempomat etc.
7. Tacho-Manipulation – Ein verbreitetes Ärgernis
Die Manipulation des Kilometerzählers ist leider ein häufiges Problem, das laut polizeilicher Kriminalstatistiken und Schätzungen von Automobilclubs bei vielen Gebrauchtwagen vorkommt und einen Betrugstatbestand (§ 263 StGB) sowie eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat nach § 22b Straßenverkehrsgesetz (StVG) darstellen kann.
Plausibilitätscheck: Vergleichen Sie den Kilometerstand mit den Eintragungen im Scheckheft, auf HU-Berichten und Reparaturrechnungen. Passt der Verschleiß im Innenraum (siehe Punkt 4) zur Laufleistung?
Expertenrat: Absolute Sicherheit kann oft nur eine Überprüfung durch Fachleute mit speziellen Diagnosegeräten geben, die auf Steuergeräte zugreifen und gespeicherte Daten auslesen können.
Wann ist ein Sachverständiger ratsam?
Auch wenn Sie viele Prüfungen selbst durchführen können, gibt es Situationen, in denen die Expertise eines unabhängigen Kfz-Sachverständigen Gold wert ist:
Wenn Sie sich unsicher fühlen oder wenig Erfahrung mit Fahrzeugtechnik haben.
Beim Kauf eines höherpreisigen Fahrzeugs oder eines Oldtimers/Youngtimers.
Wenn Sie bereits Indizien für mögliche Mängel entdeckt haben und eine professionelle Einschätzung wünschen.
Um „Waffengleichheit“ gegenüber einem gewerblichen Verkäufer oder einem sehr versierten Privatverkäufer herzustellen. Ein Sachverständigengutachten vor dem Kauf kann die tatsächliche Beschaffenheit des Fahrzeugs dokumentieren und Sie vor teuren Fehlentscheidungen schützen. Dies ist besonders relevant im Hinblick auf die Sachmängelhaftung (Gewährleistung), die zwar bei Privatverkäufen oft ausgeschlossen wird (§ 444 BGB), jedoch nicht bei arglistiger Täuschung über Mängel.
Fazit
Der Kauf eines Gebrauchtwagens erfordert Sorgfalt und ein kritisches Auge. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für die Besichtigung und Probefahrt und lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Die hier genannten Tipps helfen Ihnen, viele potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen. Denken Sie daran: Ein scheinbar günstiger Kaufpreis kann sich schnell als Kostenfalle entpuppen, wenn teure Reparaturen für versteckte Mängel anfallen.
Im Zweifel gilt: Ziehen Sie einen unabhängigen Kfz-Sachverständigen hinzu. Kontaktieren Sie uns gerne für eine Beratung! 01525/1018179 oder info@gollenstede-sachverstand,de
(Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar, insbesondere nicht zu Fragen der Sachmängelhaftung oder Gewährleistung. Im konkreten Fall sollten Sie sich immer von einem qualifizierten Rechtsanwalt beraten lassen.)