„Die gegnerische Versicherung hat mir einen Gutachter geschickt“ – Warum das ein teurer Fehler sein kann und Sie jetzt handeln müssen
Einleitung: Der trügerisch freundliche Anruf
Der Schock nach dem Unfall lässt langsam nach. Die Polizei hat den Hergang aufgenommen, die Personalien sind ausgetauscht, und Sie sind endlich zu Hause. In diesem Moment der Unsicherheit und des Stresses klingelt Ihr Telefon. Am anderen Ende meldet sich eine freundliche, professionell klingende Stimme – ein Mitarbeiter der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers. Man bedauert den Vorfall zutiefst und bietet Ihnen umgehend ein „Komplett-Sorglos-Paket“ an. Man kümmere sich um alles, heißt es. Der erste Schritt: Man schickt Ihnen schnellstmöglich und selbstverständlich kostenlos einen eigenen, qualifizierten Gutachter, der den Schaden an Ihrem Fahrzeug aufnimmt. Dieses Angebot klingt nach exzellentem Kundenservice, nach einer willkommenen Entlastung in einer ohnehin schon belastenden Situation.
Aus unser langjährigen Erfahrung als unabhängige Kfz-Sachverständige können wir Ihnen jedoch mit absoluter Sicherheit sagen: Dieser Anruf ist der kritischste Moment im gesamten Prozess der Schadensregulierung. Die Annahme dieses scheinbar großzügigen Angebots ist nicht der erste Schritt zu einer fairen Lösung, sondern oft der erste Schritt zu einem unvollständigen und finanziell nachteiligen Schadenersatz. Die Versicherung des Schädigers ist nicht Ihr Partner; sie ist ein Wirtschaftsunternehmen mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Zahlung und einem ebenso starken wirtschaftlichen Anreiz, diese Zahlung so gering wie möglich zu halten.
Dieser Artikel ist Ihr Leitfaden durch den Dschungel der Schadensabwicklung. Wir werden für Sie den Vorhang der Versicherungsbranche lüften und Ihnen das sogenannte „Schadenmanagement“ erklären. Wir zeigen Ihnen den fundamentalen Interessenkonflikt auf, erläutere detailliert die Methoden, mit denen Ihr Anspruch systematisch gekürzt wird, klären Sie über Ihre gesetzlich garantierten Rechte auf und geben Ihnen einen konkreten Aktionsplan an die Hand. Unser Ziel ist es, Sie aus der Rolle des passiven Unfallopfers zu befreien und Sie zum informierten und handlungsfähigen Direktor Ihrer eigenen Schadensregulierung zu machen.
Wessen Interessen dienen sie wirklich? Der fundamentale Interessenkonflikt
Ein altes deutsches Sprichwort bringt die Situation perfekt auf den Punkt: „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing.“ Dieses Prinzip ist der Schlüssel zum Verständnis der gesamten Problematik. Ein Sachverständiger, der von der gegnerischen Versicherung beauftragt und bezahlt wird, steht unweigerlich in deren Diensten. Seine primäre Loyalität gilt seinem Auftraggeber – der Versicherung. Sein Mandat besteht nicht darin, den vollen und fairen Umfang Ihres Schadens zu ermitteln, sondern den Schaden innerhalb des kostenminimierenden Rahmens seines Klienten zu dokumentieren.
Das Problem liegt dabei nicht zwangsläufig in der persönlichen Unehrlichkeit des einzelnen Gutachters, sondern ist systemischer Natur. Diese Gutachter arbeiten nach spezifischen Vorgaben und Erwartungen der Versicherungsgesellschaften. Ihre Gutachten werden oft intern überprüft und danach bewertet, wie gut sie mit den Kostensenkungszielen des Versicherers übereinstimmen. Dies erzeugt einen enormen Druck, „versicherungsfreundliche“ Ergebnisse zu liefern, die den Schaden tendenziell niedriger bewerten. Dieses Vorgehen ist ein zentraler Bestandteil des aktiven Schadenmanagements der Versicherer. Der freundliche Anruf ist kein Service, sondern eine strategische Maßnahme, um von der ersten Minute an die Kontrolle über den Regulierungsprozess zu erlangen. Indem Sie das Angebot annehmen, geben Sie unwissentlich die Hoheit über das wichtigste Beweismittel ab: die Schadensfeststellung. Die Versicherung setzt damit die finanzielle Basis für den gesamten Fall und zwingt Sie in eine reaktive, defensive Position, sollten Sie die Ergebnisse später anfechten wollen.
Es ist dabei von entscheidender Bedeutung, den Unterschied zwischen einem Haftpflichtschaden und einem Kaskoschaden zu verstehen. Bei einem unverschuldeten Haftpflichtschaden, dem Thema dieses Artikels, sind Sie als Geschädigter der „Herr des Geschehens“. Das Gesetz räumt Ihnen weitreichende Rechte ein, um auf Augenhöhe mit der Versicherung verhandeln zu können, einschließlich des Rechts, eigene Experten zu beauftragen. Anders verhält es sich bei einem Kaskoschaden, den Sie bei Ihrer eigenen Versicherung melden. Hier regeln die Vertragsbedingungen (AGB) den Ablauf, und Ihre Versicherung hat in der Regel das sogenannte Weisungsrecht. Das bedeutet, sie kann bestimmen, welcher Gutachter beauftragt wird. Konzentrieren wir uns also auf den Haftpflichtfall, in dem Ihre Rechte am stärksten sind und die Wahl des richtigen Gutachters den größten Unterschied macht.
Gutachter-Vergleich: Auf wessen Seite stehen sie?
Merkmal | Der Gutachter der Versicherung | Ihr unabhängiger Sachverständiger |
Auftraggeber | Die gegnerische Versicherung | Sie, der Geschädigte |
Primäres Ziel | Minimierung der Schadenhöhe für den Auftraggeber | Objektive und vollständige Ermittlung Ihres Schadens |
Loyalität | Gegenüber der Versicherung | Ausschließlich gegenüber Ihnen und der Faktenlage |
Grundlage d. Kalkulation | Interne Vorgaben & Kürzungsrichtlinien der Versicherung | Herstellervorgaben, ortsübliche Preise, aktuelle Rechtsprechung |
Ergebnis für Sie | Ein reduzierter, oft unvollständiger Schadenersatz | Eine vollständige, rechtssichere Grundlage für all Ihre Ansprüche |
Die Anatomie eines „versicherungsfreundlichen“ Gutachtens: Hier verschwindet Ihr Geld
In diesem Abschnitt werde ich als Ihr unabhängiger Experte die gängigsten „Tricks“ und Methoden aufdecken, mit denen ein von der Versicherung gesteuertes Gutachten Ihren Anspruch systematisch schmälert. Es handelt sich hierbei nicht um Einzelfälle, sondern um eine strategische Vorgehensweise, die darauf abzielt, durch viele kleine Kürzungen in der Summe einen erheblichen Betrag einzusparen – zu Ihren Lasten.
Die unterschätzten Reparaturkosten
Der offensichtlichste Posten sind die Reparaturkosten selbst. Hier gibt es vier Hauptbereiche, in denen systematisch gekürzt wird:
- Stundenverrechnungssätze: Ein von der Versicherung beauftragter Gutachter wird in seiner Kalkulation häufig nicht die Stundenlöhne einer markengebundenen Fachwerkstatt ansetzen, sondern auf günstigere, freie „Partnerwerkstätten“ verweisen. Gerade bei neueren Fahrzeugen (bis 3 Jahre alt) oder bei lückenlos in der Markenwerkstatt scheckheftgepflegten Autos haben Sie jedoch ein Recht auf Reparatur in ebenjener Markenwerkstatt, um Garantie- und Kulanzansprüche nicht zu gefährden. Der Unterschied im Stundensatz kann leicht 30 bis 50 Euro betragen, was sich bei einer umfangreichen Reparatur schnell auf mehrere hundert Euro summiert.
- UPE-Aufschläge (Ersatzteilaufschläge): Fachwerkstätten erheben auf die unverbindliche Preisempfehlung (UPE) der Hersteller für Ersatzteile einen ortsüblichen Aufschlag. Dieser deckt Kosten für Lagerhaltung, Logistik und Kapitalbindung. Versicherungen streichen diese Position regelmäßig aus den Gutachten mit dem Argument, sie seien nicht erstattungspflichtig. Die deutsche Rechtsprechung hat jedoch wiederholt bestätigt, dass diese ortsüblichen Aufschläge Teil des erstattungsfähigen Schadens sind.
- Verbringungskosten: Verfügt die reparierende Werkstatt über keine eigene Lackiererei, muss das Fahrzeug zu einem spezialisierten Lackierbetrieb transportiert (verbracht) werden. Die hierfür anfallenden Kosten werden von Versicherungsgutachtern oft gestrichen. Das Argument, die Werkstatt hätte eine eigene Lackiererei haben müssen, ist praxisfern und dient einzig der Kostenreduktion.
- Beilackierung (Lackangleichung): Wenn ein Karosserieteil (z.B. eine Tür) neu lackiert wird, kann es durch Alterung und UV-Strahlung zu minimalen Farbunterschieden zu den angrenzenden, unbeschädigten Teilen (z.B. Kotflügel und Seitenwand) kommen. Um einen sichtbaren „Farb-Flickenteppich“ zu vermeiden, ist es technisch zwingend erforderlich, die angrenzenden Teile anzugleichen, also „beizulackieren“. Versicherungsgutachter stufen diese absolut notwendige Maßnahme zur Sicherstellung einer fachgerechten Reparatur oft als unnötige „kosmetische“ Leistung ein und streichen die Kosten. Das Ergebnis ist eine optisch minderwertige Reparatur.
Der verschwundene Minderwert (Wertminderung)
Dies ist einer der größten und oft übersehenen Schadensposten. Die merkantile Wertminderung beschreibt den finanziellen Nachteil, der Ihnen entsteht, weil Ihr Fahrzeug nach dem Unfall, selbst bei perfekter Reparatur, ein „Unfallwagen“ ist. Bei einem späteren Verkauf sind Sie gesetzlich verpflichtet, den Unfallschaden offenzulegen, was unweigerlich zu einem geringeren Verkaufserlös führt. Dieser Wertverlust ist ein realer, Ihnen entstandener Schaden, der von der gegnerischen Versicherung ausgeglichen werden muss.
Versicherungsgutachter neigen dazu, diesen Posten drastisch zu reduzieren oder, insbesondere bei Fahrzeugen, die älter als fünf Jahre sind oder eine Laufleistung von über 100.000 km aufweisen, komplett zu streichen. Als unabhängiger Sachverständiger berechnen wir die Wertminderung hingegen nach anerkannten und gerichtlich validierten Methoden (z.B. nach Ruhkopf/Sahm oder der Marktrelevanz- und Faktorenmethode MFM). Je nach Fahrzeug und Schaden kann dieser Betrag leicht mehrere hundert oder sogar tausende Euro ausmachen, die Ihnen sonst verloren gingen.
Die Totalschaden-Falle
Liegen die kalkulierten Reparaturkosten über dem Wert des Fahrzeugs vor dem Unfall, spricht man von einem wirtschaftlichen Totalschaden. Die Entschädigung berechnet sich dann nach der Formel: Wiederbeschaffungswert (WBW) minus Restwert (RW). Der WBW ist der Preis, den Sie aufwenden müssten, um ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug bei einem seriösen Händler in Ihrer Region zu kaufen. Der RW ist der Wert, den Ihr beschädigtes Fahrzeug noch hat.
Hier hat der Versicherungsgutachter einen doppelten Hebel zur Kürzung Ihrer Entschädigung:
- Wiederbeschaffungswert (WBW) zu niedrig ansetzen: Der Gutachter wird den Gebrauchtwagenmarkt nach den billigsten Angeboten für ein vergleichbares Modell durchsuchen, oft unter Vernachlässigung von Faktoren wie Zustand, Ausstattung, Händlergewährleistung oder regionaler Verfügbarkeit. So wird der WBW künstlich niedrig gehalten.
- Restwert (RW) zu hoch ansetzen: Gleichzeitig wird für Ihr Unfallwrack oft überregional oder sogar international auf speziellen Restwertbörsen nach dem höchstmöglichen Gebot gesucht. Dieses oft unrealistisch hohe Gebot eines Aufkäufers, der hunderte Kilometer entfernt sitzt, wird dann als Restwert in das Gutachten eingetragen.
Das Ergebnis dieser Manipulation ist verheerend für Sie: Durch einen zu niedrigen WBW und einen zu hohen RW wird die Differenz – also Ihre Auszahlung – drastisch reduziert. Sie erhalten am Ende nicht genug Geld, um sich ein wirklich gleichwertiges Ersatzfahrzeug zu beschaffen.
„Vergessene“ Ansprüche
Ein umfassendes, unabhängiges Gutachten dient als Grundlage für alle Ihre Ansprüche. Positionen, die in einem versicherungsfreundlichen Kurzgutachten oft unter den Tisch fallen, sind:
- Nutzungsausfallentschädigung: Für jeden Tag, den Ihr Fahrzeug reparaturbedingt ausfällt, steht Ihnen eine finanzielle Entschädigung zu. Die Dauer des Ausfalls wird im Gutachten festgelegt. Eine zu kurz bemessene Reparaturdauer im Gutachten kürzt direkt diesen Anspruch.
- Unkostenpauschale: Für Ihre unfallbedingten Auslagen wie Telefonate und Porto steht Ihnen eine Pauschale von ca. 20 bis 30 Euro zu. Ein kleiner Betrag, der aber systematisch von Versicherungen ignoriert wird, wenn er nicht explizit eingefordert wird.
Die Strategie hinter all diesen Kürzungen ist die des „Todes durch tausend Schnitte“. Jede einzelne Kürzung mag für sich genommen gering erscheinen und den Aufwand eines Rechtsstreits nicht wert sein. In der Summe führen diese vielen kleinen Posten jedoch zu einem erheblichen finanziellen Verlust für Sie. Ein von Beginn an korrekt und vollständig erstelltes, unabhängiges Gutachten ist die einzige wirksame Verteidigung gegen diese Zermürbungstaktik.
Die unabhängige Alternative: Ihr Anwalt für eine faire Bewertung
Im Gegensatz zu einem von der Versicherung entsandten Sachverständigen unterliege wir der Neutralität und Objektivität. Unser einziger Auftraggeber sind Sie, der Geschädigte. Unsere Loyalität gilt nicht der Bilanz einer Versicherung, sondern ausschließlich den technischen und wirtschaftlichen Fakten Ihres individuellen Falles.
Eines von uns erstelltes umfassendes Schadengutachten ist weit mehr als nur eine Auflistung von Reparaturkosten. Es ist ein gerichtsfestes Beweissicherungsgutachten, das den Schadenumfang und -hergang detailliert dokumentiert und die Grundlage für alle Ihre weiteren Ansprüche bildet. Es beinhaltet unter anderem:
- Genaue Fahrzeug- und Halterdaten.
- Eine lückenlose Fotodokumentation des Schadens.
- Eine exakte Beschreibung des notwendigen Reparaturweges nach Herstellervorgaben.
- Eine vollständige Kalkulation der Reparaturkosten, inklusive aller Positionen wie Beilackierung, Verbringungskosten und UPE-Aufschläge.
- Die exakte Berechnung des Wiederbeschaffungswertes, des Restwertes und der merkantilen Wertminderung.
- Die Festlegung der voraussichtlichen Reparatur- oder Wiederbeschaffungsdauer als Basis für Ihren Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung.
- Eine sorgfältige Dokumentation eventueller Vorschäden, um Abzüge klar abzugrenzen.
Dieses Dokument stellt die sogenannte „Waffengleichheit“ her. Die Versicherung verfügt über ein Heer von Juristen, Regulierern und eigenen Experten. Ihr unabhängiges Gutachten ist Ihre schlagkräftige Antwort. Es sorgt dafür, dass die Verhandlungen nicht auf der Basis eines von der Gegenseite manipulierten Dokuments beginnen, sondern auf einer soliden, faktenbasierten und vollständigen Grundlage, die Ihre Interessen wahrt.
Mehr noch, ein solches qualifiziertes Gutachten verändert die gesamte prozessuale Dynamik. Es verlagert die Beweislast. Wenn Sie ein schlüssiges und detailliertes Gutachten eines anerkannten Experten vorlegen, kann die Versicherung nicht mehr willkürlich Positionen streichen. Nach gefestigter deutscher Rechtsprechung muss der Versicherer jeden einzelnen Abzug konkret und technisch fundiert begründen. Pauschale Behauptungen wie „Das zahlen wir grundsätzlich nicht“ sind rechtlich unwirksam. Dies zwingt die Versicherung, entweder die im Gutachten festgestellten Kosten zu akzeptieren oder auf eigene Kosten eine formelle Nachbesichtigung durchzuführen, was den Prozess verkompliziert und ihre Position nicht zwingend verbessert. Ihr unabhängiges Gutachten ist somit nicht nur ein Kalkulationsinstrument, sondern ein mächtiges juristisches Schutzschild.
Ihre Rechte sind kein Vorschlag – sie sind Gesetz
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Sie Ihre Rechte kennen. Diese sind keine freundlichen Empfehlungen, sondern gesetzlich verankerte Ansprüche. Die rechtliche Grundlage für all Ihre Forderungen ist § 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dieser Paragraph besagt im Kern, dass der Schädiger Sie so stellen muss, als wäre der Unfall nie passiert. Das bedeutet, Ihnen ist der gesamte entstandene Schaden zu ersetzen.
Im Haftpflichtfall, also bei einem unverschuldeten Unfall, haben Sie eine „Heilige Dreifaltigkeit“ an Rechten, deren Kosten allesamt von der gegnerischen Versicherung getragen werden müssen, sofern der Schaden oberhalb der sogenannten Bagatellgrenze liegt:
- Das Recht auf einen freien, unabhängigen Sachverständigen: Sie haben das uneingeschränkte Recht, einen Kfz-Sachverständigen Ihrer Wahl mit der Begutachtung des Schadens zu beauftragen. Sie müssen den von der Versicherung vorgeschlagenen Gutachter unter keinen Umständen akzeptieren. Dieses Recht greift, sobald es sich nicht mehr um einen reinen Bagatellschaden handelt. Die Gerichte ziehen diese Grenze aktuell bei einer Schadenhöhe von etwa 750 bis 1.000 Euro.
- Das Recht auf einen freien Fachanwalt für Verkehrsrecht: Sie haben ebenfalls das Recht, von Anfang an einen auf Verkehrsrecht spezialisierten Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung Ihrer Interessen zu beauftragen. Die Kosten für Ihren Anwalt sind Teil des Gesamtschadens und müssen von der gegnerischen Versicherung erstattet werden.
- Das Recht auf eine freie Werkstattwahl: Sie entscheiden, wo Ihr Fahrzeug repariert wird. Sie müssen sich nicht auf eine von der Versicherung vorgeschlagene „Partnerwerkstatt“ verweisen lassen.
Darüber hinaus haben Sie das Recht auf fiktive Abrechnung. Das bedeutet, Sie können sich den Schaden auf Basis des Gutachtens auszahlen lassen, ohne die Reparatur tatsächlich durchführen zu müssen (die Mehrwertsteuer wird hierbei nur erstattet, wenn sie auch tatsächlich anfällt). Dies gibt Ihnen maximale Flexibilität. Gerade bei der fiktiven Abrechnung versuchen Versicherungen jedoch besonders aggressiv zu kürzen, was ein unabhängiges und detailliertes Gutachten umso wichtiger macht.
Das Geschäftsmodell der Versicherer im Schadenmanagement basiert auf einer „informatorischen Asymmetrie“: Sie kennen diese Rechte bis ins kleinste Detail, während der durchschnittliche Unfallgeschädigte sie nicht kennt. Der proaktive, „hilfsbereite“ Anruf der Versicherung zielt genau darauf ab, Sie davon abzuhalten, diese Rechte überhaupt erst kennenzulernen und auszuüben. Indem die Versicherung Ihnen eine vermeintlich einfache „Komplett-Lösung“ anbietet, schafft sie einen Weg des geringsten Widerstands, der Ihre mächtigsten Werkzeuge – den eigenen Gutachter und den eigenen Anwalt – umgeht. Das Wissen um Ihre Rechte und das selbstbewusste Aussprechen dieser ist daher der wirksamste erste Schritt, um das Standard-Drehbuch der Versicherung zu durchkreuzen.
Ihr Aktionsplan: Was zu tun ist, wenn der Versicherer anruft
Wenn also das Telefon klingelt und die gegnerische Versicherung am Apparat ist, sind Sie nun vorbereitet. Befolgen Sie diesen einfachen Plan:
- Ruhig und höflich, aber bestimmt bleiben: Hören Sie sich das Angebot an. Machen Sie sich Notizen. Wenn das Angebot kommt, einen Gutachter zu schicken, lehnen Sie dankend, aber unmissverständlich ab. Nutzen Sie eine klare Formulierung, zum Beispiel: „Vielen Dank für Ihr Angebot. Ich werde jedoch, wie es mein Recht als Geschädigter ist, einen eigenen, unabhängigen Sachverständigen zur Feststellung des Schadens beauftragen. Dessen Gutachten werde ich Ihnen dann zur Regulierung zukommen lassen.“
- Nichts zustimmen, nichts unterschreiben: Geben Sie am Telefon keine Zustimmung zu irgendetwas – weder zu einem Gutachter, noch zu einer Werkstatt, noch zu einem Mietwagen. Geben Sie keine aufgezeichnete Erklärung zum Unfallhergang ab. Jede mündliche Zusage kann später als Einverständnis ausgelegt werden und Ihre Position schwächen.
- Sofort einen unabhängigen Sachverständigen kontaktieren: Dies ist der erste und wichtigste Anruf, den Sie nach dem Gespräch mit der Versicherung tätigen. Suchen Sie nach einem qualifizierten, Sachverständigen in Ihrer Nähe.
- Einen Anwalt einschalten: Kontaktieren Sie im Anschluss einen Fachanwalt für Verkehrsrecht. Während das Gutachten die faktenbasierte Grundlage für Ihre Ansprüche liefert, ist der Anwalt der Experte, der diese Ansprüche juristisch durchsetzt und Sie gegen die Kürzungsversuche der Versicherung verteidigt. Die Kombination aus unabhängigem Sachverständigen und spezialisiertem Anwalt ist der Goldstandard zur Sicherung Ihrer Interessen.
Tabelle 2: Häufige Kürzungsversuche der Versicherung und Ihr gutes Recht
Kürzungsversuch der Versicherung („Das zahlen wir nicht…“) | Ihr Recht / Die Faktenlage |
„…die Stundenlöhne Ihrer Werkstatt sind zu hoch. Wir haben eine günstigere Partnerwerkstatt.“ | Sie haben das Recht auf freie Werkstattwahl. Bei neueren Fahrzeugen (<3 Jahre) oder Scheckheftpflege in einer Markenwerkstatt sind deren Sätze zu erstatten (BGH VI ZR 267/14). |
„…die Wertminderung ist bei diesem Fahrzeugalter nicht mehr relevant.“ | Die merkantile Wertminderung ist ein realer Schaden. Ein unabhängiges Gutachten berechnet diese nach anerkannten Methoden. Gerichte sprechen sie regelmäßig zu. |
„…die Kosten für die Beilackierung sind rein kosmetisch und nicht notwendig.“ | Die Beilackierung ist eine technisch notwendige Maßnahme zur Vermeidung von Farbunterschieden und zur Sicherstellung einer fachgerechten Reparatur. |
„…ein Kostenvoranschlag hätte ausgereicht. Ein Gutachten war nicht nötig.“ | Oberhalb der Bagatellschadengrenze (ca. 750-1.000 €) haben Sie als Geschädigter das Recht auf ein vollumfängliches Gutachten zur Beweissicherung. |
„…die Kosten für einen Anwalt übernehmen wir nicht, das ist nicht erforderlich.“ | Bei einem unverschuldeten Unfall muss die gegnerische Versicherung die Kosten für Ihren Anwalt als Teil des Gesamtschadens erstatten. |
Fazit: Übernehmen Sie die Kontrolle über Ihre Schadenregulierung
Das Fazit ist eindeutig: Das von der gegnerischen Versicherung angebotene „Schadenmanagement“ ist eine bis ins Detail ausgefeilte Strategie, die nur einem Ziel dient – deren Kosten zu minimieren, und zwar auf Ihre Kosten. Der angebliche Service ist eine Taktik. Die angebotene Hilfe ist ein Mittel, um die Kontrolle zu erlangen und Ihren Anspruch von Anfang an kleinzurechnen.
Die Beauftragung eines eigenen, unabhängigen Sachverständigen und eines spezialisierten Rechtsanwalts ist kein aggressiver oder streitlustiger Akt. Es ist ein notwendiger, kluger und gesetzlich geschützter Schritt, um Fairness sicherzustellen. Es ist der einzige Weg, die „Waffengleichheit“ herzustellen, die Sie benötigen, um die Entschädigung zu erhalten, die Ihnen nach deutschem Recht in vollem Umfang zusteht.
Lassen Sie sich nicht von der anfänglichen Freundlichkeit und den Versprechungen einer schnellen, unkomplizierten Abwicklung blenden. Werden Sie proaktiv. Üben Sie Ihre Rechte selbstbewusst aus und suchen Sie sich unabhängige Experten, die loyal an Ihrer Seite stehen und ausschließlich Ihre Interessen vertreten.
Es ist Ihr Fahrzeug, Ihr Schaden und Ihr Geld. Handeln Sie entsprechend.
(Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Im konkreten Schadensfall sollten Sie sich immer von einem qualifizierten Rechtsanwalt beraten lassen, der Ihre individuelle Situation prüfen kann.)