Unfall ohne Polizei – Geht das? Wann Sie die Polizei rufen sollten und wann nicht.
Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, ein kleines Missgeschick im Straßenverkehr – und schon ist es passiert: Ein Unfall. Der erste Gedanke vieler ist oft, sofort die Polizei zu rufen. Doch ist das immer notwendig? Oder gibt es Situationen, in denen ein Unfall auch ohne polizeiliche Beteiligung geregelt werden kann? Die Antwort ist komplex, denn sie hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dieser Artikel beleuchtet, wann Sie die Polizei zwingend einschalten sollten und wann es eventuell ausreicht, den Schaden unter sich zu regeln.
Der Schockmoment: Was tun nach einem Unfall?
Unabhängig davon, ob die Polizei gerufen wird oder nicht, gibt es grundlegende Schritte, die Sie nach jedem Unfall einhalten müssen. Das richtige Verhalten ist entscheidend, um die Situation zu deeskalieren und die Weichen für eine reibungslose Schadensregulierung zu stellen.
- Ruhe bewahren: Panik ist ein schlechter Ratgeber. Atmen Sie tief durch.
- Unfallstelle sichern: Warnblinkanlage einschalten, Warnweste anlegen und Warndreieck aufstellen, um weitere Gefahren zu vermeiden.
- Verletzte versorgen: Prüfen Sie, ob Personen verletzt sind. Ist dies der Fall, leisten Sie Erste Hilfe und rufen Sie sofort den Notruf (112). Die Gesundheit hat immer oberste Priorität.
- Beweise sichern: Machen Sie Fotos von der Unfallstelle, den beteiligten Fahrzeugen, Schäden, Bremsspuren und der Umgebung. Notieren Sie Kennzeichen, Namen, Adressen und Kontaktdaten der anderen Unfallbeteiligten und eventueller Zeugen.
Eine detaillierte Checkliste für das richtige Verhalten am Unfallort bietet unter anderem der ADAC in seinem Ratgeber zum Thema „Verkehrsunfall: Was tun?“.
Wann ist die Polizei zwingend erforderlich?
Es gibt klare Situationen, in denen das Hinzuziehen der Polizei nicht nur ratsam, sondern sogar gesetzlich vorgeschrieben ist. Hier eine Übersicht:
1. Personenschäden
Dies ist der wichtigste und dringlichste Punkt. Sind bei einem Unfall Personen verletzt worden – und sei es nur scheinbar leicht –, muss die Polizei unbedingt verständigt werden. Das gilt auch, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob jemand verletzt ist. Innere Verletzungen oder ein Schleudertrauma sind nicht immer sofort erkennbar. Die Polizei wird den Unfall aufnehmen, die Situation beurteilen und gegebenenfalls Rettungsdienste hinzuzuziehen. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort, insbesondere bei Personenschäden, kann als Straftat gewertet werden.
2. Große Sachschäden
Wenn der Sachschaden erheblich ist und über einen Bagatellschaden hinausgeht (z.B. ein völlig zerstörtes Fahrzeug, Schäden an Gebäuden, Verkehrseinrichtungen wie Ampeln oder Leitplanken), sollte die Polizei gerufen werden. Dies erleichtert nicht nur die spätere Schadensregulierung mit den Versicherungen, sondern dient auch der Verkehrssicherheit, falls Trümmerteile oder auslaufende Flüssigkeiten eine Gefahr darstellen.
3. Unklare Schuldfrage oder Streitigkeiten
Wenn die Schuldfrage nicht eindeutig ist und die Unfallbeteiligten unterschiedliche Auffassungen über den Unfallhergang oder die Verantwortlichkeit haben, ist es unerlässlich, die Polizei hinzuzuziehen. Die Beamten nehmen den Unfall objektiv auf, dokumentieren die Fakten und können bei der Klärung helfen. Dies verhindert spätere langwierige Auseinandersetzungen mit der Versicherung.
4. Verdacht auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten
Besteht der Verdacht, dass eine Straftat (z.B. Fahrerflucht, Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss) oder eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit (z.B. Fahren ohne Fahrerlaubnis, grobe Verkehrsgefährdung) vorliegt, muss die Polizei informiert werden. Versuchen Sie niemals, solche Situationen selbst zu regeln.
5. Öffentliches Eigentum betroffen
Wenn bei dem Unfall nicht nur private Fahrzeuge, sondern auch öffentliches Eigentum (z.B. Verkehrsschilder, Laternen, Parkbänke, Leitplanken oder andere Infrastruktur) beschädigt wurde, ist die Polizei zu informieren. Dies dient der Dokumentation des Schadens und der Meldung an die zuständigen Behörden. Wie die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes erklärt, kann das Verlassen des Unfallorts in solchen Fällen ebenfalls den Straftatbestand der Unfallflucht erfüllen.
6. Unfall mit ausländischen Fahrzeugen oder fehlender Versicherung
Bei Unfällen mit ausländischen Fahrzeugen oder wenn ein Unfallbeteiligter keine gültige Versicherungspolice vorweisen kann, ist es ratsam, die Polizei zu rufen. Dies kann die Abwicklung der Schadensregulierung erheblich vereinfachen und Sie vor späteren Problemen schützen.
7. Wildunfälle
Ein Sonderfall sind Wildunfälle. Hier ist es in den meisten Bundesländern Pflicht, die Polizei oder den zuständigen Jagdpächter zu informieren. Sie kümmern sich um das verletzte oder getötete Tier und stellen eine sogenannte Wildunfallbescheinigung aus, die für die Schadensregulierung mit der Kaskoversicherung unerlässlich ist. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) weist darauf hin, dass ohne diese Bescheinigung die Regulierung oft schwierig wird. Entfernen Sie sich niemals vom Unfallort, ohne eine Meldung gemacht zu haben!
Wann können Sie auf die Polizei verzichten? (Bagatellschäden)
Es gibt durchaus Situationen, in denen Sie auf die polizeiliche Unfallaufnahme verzichten können. Dies betrifft in der Regel sogenannte Bagatellschäden.
Definition Bagatellschaden
Ein Bagatellschaden liegt vor, wenn:
- Nur geringer Sachschaden entstanden ist (z.B. Kratzer, kleine Beule, Lackschäden). Als Orientierung gilt oft eine Schadenshöhe von unter 750 Euro, wobei diese Grenze nicht gesetzlich fixiert ist.
- Keine Personen verletzt wurden.
- Die Schuldfrage eindeutig ist und sich alle Beteiligten über den Unfallhergang einig sind.
- Kein öffentliches Eigentum beschädigt wurde.
- Kein Verdacht auf Straftaten oder schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten besteht.
Vorgehen bei Bagatellschäden ohne Polizei:
- Unfallstelle sichern (wie oben beschrieben).
- Daten austauschen: Namen, Adressen, Telefonnummern, Versicherungsgesellschaften und Policennummern der Unfallbeteiligten notieren. Auch das Kennzeichen des Gegners ist wichtig.
- Unfallbericht ausfüllen: Nutzen Sie einen Europäischen Unfallbericht. Dieses standardisierte Formular hilft, alle wichtigen Fakten systematisch zu erfassen und Missverständnisse zu vermeiden. Der Vordruck ist in vielen Sprachen identisch aufgebaut und kann kostenlos, beispielsweise beim Zentralruf der Autoversicherer, heruntergeladen werden.
- Fotos machen: Auch bei Bagatellschäden sind Fotos der Schäden und der Unfallstelle unerlässlich.
- Zeugen notieren: Falls vorhanden, Namen und Kontaktdaten von Zeugen aufnehmen.
- Eigene Versicherung informieren: Melden Sie den Schaden umgehend Ihrer eigenen Versicherung, auch wenn Sie nicht der Unfallverursacher sind.
Vor- und Nachteile der polizeilichen Aufnahme
Vorteile:
- Objektive Dokumentation: Die Polizei nimmt den Unfall objektiv auf, dokumentiert Spuren und befragt Zeugen.
- Beweissicherung: Polizeiberichte sind oft wichtige Beweismittel für die Versicherungen.
- Rechtliche Beratung: Die Beamten können auf rechtliche Konsequenzen hinweisen.
- Absicherung bei Verdacht: Bei Verdacht auf Alkohol, Drogen oder andere Verstöße greifen die Beamten ein.
Nachteile:
- Zeitaufwand: Die Wartezeit auf die Polizei und die Aufnahme können dauern.
- Kosten: In manchen Bundesländern kann für die Aufnahme eines reinen Bagatellschadens durch die Polizei ein Verwarnungsgeld oder eine Gebühr anfallen.
- Bußgelder: Falls der Unfall aufgrund einer Ordnungswidrigkeit Ihrerseits passiert ist, wird die Polizei diese ahnden.
Fazit und Handlungsempfehlung
Ein Unfall ist immer eine Ausnahmesituation. Die Entscheidung, ob Sie die Polizei rufen, sollte gut überlegt sein, aber im Zweifelsfall stets zugunsten der Sicherheit und der rechtlichen Absicherung getroffen werden.
Merke:
- Bei Personenschäden IMMER die Polizei rufen (und Notruf 112).
- Bei größeren Sachschäden, unklarer Schuldfrage, Verdacht auf Straftaten oder Beschädigung von öffentlichem Eigentum ebenfalls IMMER die Polizei rufen.
- Bei reinen Bagatellschäden, bei denen alle Beteiligten sich einig sind und keine der oben genannten Kriterien zutreffen, kann auf die Polizei verzichtet werden.
Sammeln Sie stets so viele Informationen und Beweise wie möglich, setzen Sie einen europäischen Unfallbericht auf und beauftragen Sie einen unabhängigen Kfz-Sachverständigen. So sind Sie auch ohne polizeiliche Aufnahme auf der sicheren Seite.
(Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt keine Rechtsberatung dar. Im konkreten Schadensfall sollten Sie sich immer von einem qualifizierten Rechtsanwalt beraten lassen, der Ihre individuelle Situation prüfen kann.)